Lassen Sie Ihr Herz mit Leidenschaft vom Leben berühren

Lassen Sie Ihr Herz mit Leidenschaft vom Leben berühren

Liebe Freundinnen und Freunde der kontemplativen Psychologie,

das neue Jahr scharrt mit ungeduldigen Hufen und das vergangene Jahr verabschiedet sich. 2021 stand wieder sehr im Zeichen der Pandemie und in welchem wir wieder, auf die eine oder andere Art, mit ihren Auswirkungen haben ringen müssen: sei es durch die Erkrankung selbst, durch wirtschaftliche Folgen oder auch sozialen und vor allem emotionalen Stress. Und wir alle haben wieder, mal mehr und mal weniger gut, einen Umgang mit den pandemiebedingten Veränderungen in unserem Alltag finden müssen.

Für viele von uns ist der Jahreswechsel auch eine Zeit der Reflektion und Besinnung.  Die Rückschau auf das letzte Jahr wirft sicher noch viele ungelöste Fragen auf, die den Blick nach vorn nicht nur leicht machen. Vielleicht zögerlich, aber dennoch fragen wir uns natürlich: was wird das neue Jahr bringen? Wie viele Möglichkeiten zur Gestaltung meines eigenen Lebens wird es mir bieten? Und in großer Dringlichkeit stellt sich vielleicht auch die Frage: ob und wie wir Menschen die immensen Herausforderungen, vor denen wir stehen, gemeinsam meistern können?

Die Zeit “zwischen den Jahren“, diese Zeit des Wandels und der Unbestimmtheit, wenn das Alte noch nicht gänzlich aufgehört und das Neue noch nicht begonnen hat, ist immer eine gute Zeit, sich den Sinn des eigenen Lebens, aber auch des Lebens überhaupt, wieder aufs Neue bewusst zu machen.

Besonders leicht fällt mir dies mit der Unterstützung von Musik und Literatur, spiegeln beide doch ganz unmittelbar und sinnlich die vielen Facetten des Lebens – von Freude und Glück bis hin zu Trauer und Schmerz – auf oft so meisterhafte Weise wider.

So liegt seit einigen Tagen ein Gedichtband von Rainer Maria Rilke auf meiner Küchenfensterbank. Rilke ist kein Dichter der Eindeutigkeit. Viele seiner Gedichte haben für mich eine ungeheure, unfassbare Tiefe – so wie nur das Leben selbst sie hat. Oft führen mich Rilkes Worte beim Lesen an die Grenze des Sagbaren, an einen Ort, an welchem frei von zu viel Begrifflichkeit, ein Spüren und Verstehen wach wird, durch welches die Frage nach Sinn und Wert des Lebens, sich auf ganz neue und manchmal durchaus fremde Art beantwortet oder andeutet.

Heute Morgen habe ich ein sehr bekanntes Gedicht von Rainer Maria Rilke aufgeschlagen. Er hat es an einem Januartag im Jahr 1898 geschrieben:

Du musst das Leben nicht verstehen
dann wird es werden wie ein Fest.
Und lass‘ Dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen
von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken lässt.
Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.

Mit den Zeilen dieses wunderschönen Gedichtes möchte ich Ihnen, auch im Namen des gesamten Karuna Teams, einen besinnlichen und frohen Jahreswechsel wünschen. Bitte bleiben Sie gesund, wach und lassen Sie auch im neuen Jahr Ihr Herz mit Leidenschaft vom Leben berühren.

Sehr herzlich,

Barbara Märtens

Hamburg, 28. Dezember 2021