Selbstfürsorge – eine besondere Form des Mitgefühls

Selbstfürsorge ist eine besondere Form des Mitgefühls: Meine Reaktion auf meine eigenen Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten ist warmherzig und verständnisvoll, statt voller Härte und Kritik.

Artikel mit Übungsanleitung von Barbara Märtens.

Selbstfürsorge

leadership_systeamotion_0716Schwierigkeiten sind Bestandteil unseres Lebens. Trennung, Verlust, körperlicher und seelischer Schmerz beschäftigen und bedrängen uns genauso wie Geldsorgen, Arbeitssuche, Familienprobleme, Streit mit Kollegen und das zunehmende Gefühl den Anforderungen und dem Elend  der gegenwärtigen Welt nicht mehr gewachsen zu sein.

Wir begegnen unangenehmen und oft schwer zu ertragenen Seiten unseres Alltags meist mit Angst, Widerstand, Vermeidungsstrategien, Ablehnung und vor allem auch Scham. Wenn wir Fehler gemacht haben oder etwas schief geht, besteht unsere erste Reaktion oft darin, uns oder andere anzuklagen und zu verurteilen. Unsere inneren kritischen Stimmen kommen bereitwillig auf den Plan und  dies gipfelt oft in einer Kette aus destruktiven, selbstkritischen Gedanken und Gefühlen mit denen wir verzweifelt versuchen, Kontrolle über die Situation zu erlangen. Wenn wir in Zeiten von Angst, Einsamkeit und Ohnmacht auch noch auf uns herumhacken, finden wir jedoch keine Linderung oder Erleichterung, sondern wir graben wir uns  lediglich tiefer in unseren Schmerz hinein. Es entsteht ein Teufelskreis, dem wir nur noch entkommen können, wenn alles in uns verzweifelt auf Alarm schaltet. Depression, Burn-out, Sucht und andere Vermeidungsstrategien sind dann die Versuche, mit denen unser System sich bemüht, einen Ausweg zu finden.
Wenn wir körperlichen, emotionalen oder seelischen Schmerz zu einem Feind erklären und gegen diesen Feind  ankämpfen, stärken wir ihn nur und bleiben in seinem Bann gefangen.
Veränderung, so wissen wir in der kontemplativen Psychologie, beginnt dann wenn wir bereit sind, uns unseren Problemen zu öffnen. Statt uns anzuklagen und hart zu verurteilen wenn wir uns schlecht fühlen oder etwas danebengeht,  können wir Achtsamkeit und Maitri – liebevolle Freundlichkeit – als Antwort wählen. Also uns annehmen, so wie wir sind; den Mut haben, ehrlich hinzuschauen und freundlich und fürsorglich auf unsere Situation  zu blicken.

Selbstfürsorge ist eine besondere Form des Mitgefühls: Meine Reaktion auf meine eigenen Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten ist warmherzig und verständnisvoll, statt voller Härte und Kritik. Dies ist eine völlig natürliche und angemessene Reaktion. Wir alle werden mit dem Verlangen geboren, glücklich zu sein und wissen, dass wir fürsorglich und verantwortlich auf Schmerz reagieren können. Wenn ich mich in den Finger schneide, ist meine erste Reaktion, mich zu kümmern und nach einem Pflaster zu schauen. Niemand muss das lernen – wir wissen es einfach; so wie das kleine Kind, welches im Angesicht von Schmerz Schutz bei den Eltern sucht.
Selbstfürsorge besteht also in einer ganz bestimmten Haltung, die wir unserem eigenen Leiden gegenüber einnehmen. Wir öffnen uns dem Schmerz und sorgen für uns, so wie wir für ein Kind oder eine gute Freundin sorgen würden, die mit einem Problem zu uns kommt. Es ist möglich mit freundlicher, liebender Anteilnahme und dem tiefen Verständnis ,dass Leiden Bestandteil des menschlichen Lebens ist, auf unsere Situation zu schauen. Dann führen Probleme nicht tiefer in Vereinzelung und Destruktion, sondern sie werden eine Möglichkeit, meine Verbundenheit mit anderen zu spüren und meine Kräfte zur Heilung freizusetzen.
Selbstfürsorge oder Selbsmitgefühl hat nichts mit Selbstmitleid oder Selbstbezogenheit zu tun. Es geht nicht darum, sich selbst leid zu tun oder Entschuldigungen für das zu finden, was nicht gut läuft. Selbstfürsorge unterminiert nicht unser Verlangen und unsere Fähigkeit, Veränderung und Wachstum einzuladen. Aber da sie uns befähigt, ehrlich, klar, mutig und wohlmeinend auf unsere Situation zu schauen, ist sie ein gutes Fundament für Veränderung, denn sie basiert auf Liebe und nicht auf Angst. Genau betrachtet ist sie die Voraussetzung, um mit ungewollten und manchmal ausweglos erscheinenden Situationen hilfreich und verändernd umgehen zu können.

Kleine Übung zur Selbstfürsorge

Diese Übung, ab und zu angewandt, öffnet auf einfache Weise die Tür zu einer selbstfürsorglichen Haltung und lädt auf längere Sicht gesehen, einen anderen Umgang mit ausweglosen und schmerzhaften Situation im eigenen Leben ein:
Nehmen Sie sich 5-7 Minuten Zeit und finden Sie einen Platz, an welchem Sie ungestört sind und sich wohl fühlen. Spüren Sie Ihren Körper und insbesondere die leichte Bewegung des Atems. Nehmen Sie wahr, ohne irgendetwas verändern zu müssen.
Denken Sie jetzt an etwas, das Ihnen das Leben schwer macht, oder an eine typische Art und Weise, in der Sie sich oft selbst verurteilen. Lassen Sie eine solche Situation lebhaft vor Ihrem geistigen Auge erscheinen. Wie fühlen sich Körper und Geist an, wenn Sie an der Situation und den damit verbundenen Gefühlen festhalten. Welche Stimmen oder Sätze tauchen damit verbunden auf?
Erinnern Sie sich jetzt daran, dass es menschlich ist, Probleme zu haben oder Fehler zu machen. Stellen Sie sich eine weise und mitfühlende Person vor (Freund, Lehrerin, Therapeut, Großmutter o.ä.) die neben Ihnen sitzt. Was sagt diese Person zu Ihrem Problem? Welchen Effekt haben diese Worte?
Sitzen Sie dann noch einen Moment und lassen Sie Ihre Aufmerksamkeit frei im Raum schweben, bevor Sie sich wieder Ihrem Alltag zuwenden.

Barbara_Maertens_2015-106_webaArtikel von Barbara Märtens

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